Kommentare Wie die Deutsche Bahn Kunden verärgert und abzockt

Galt in guten Zeiten: "Der Kunde bringt dir das Geld", so gilt in schlechten Zeiten: „"Zocke ab, wo du nur kannst." Letzteres ist beispielhaft an den Tarifen und Bedienungsbedingungen der Deutschen Bahn, einem Staatsunternehmen, zu belegen. Schon von "Bedienung" zu sprechen, grenzt hier nahezu an Blasphemie. Der unter Mehdorn eingeführte und leider nicht zum Unwort des Jahres gewählte "Bedienzuschlag" ist ein Relikt geblieben, den der Kunde immer noch zahlen muss, sobald er sich um eine Platzreservierung bemüht. Eine ärgerliche Petitesse für Geschäftskunden: Auf dem Beleg wird die Mehrwertsteuer nicht ausgewiesen. Und wenn wir schon bei den Tickets sind: In guten Zeiten konnten wir die Entfernung zum Zielort an den Kilometerangaben ablesen. Doch weil dies eine bessere Einsicht in das Preisgefüge ermöglichte, wurde diese nützliche Information von der Deutschen Bahn kurzerhand abgeschafft.

Und da wir schlechte Zeiten haben, geht die Deutsche Bahn in ihren Informationstricksereien noch ein Stück weiter. In guten Zeiten galt für eine Fahrt in der 1. Wagenklasse der doppelte Preis zur 2. Wagenklasse. Das war eine einfache Rechnung und erleichterte Geschäftsreisenden die Abrechnung. Aber das war vordem. Heute ist es so, dass die Fahrpreise im Fernverkehr "realitätsbezogen" festgelegt werden. Im Klardeutsch der Deutschen Bahn heißt dies: "Die Preisbildung erfolgt nicht ausschließlich entfernungsabhängig, sondern Wettbewerbssituation und Nachfrage innerhalb einer bestimmten Relation werden sehr differenziert mit berücksichtigt." Verstanden?

Von Transparenz und Offenheit keine Spur. Es lebt sich ja sehr bequem damit. In der leidvollen Praxis sieht es trotz aktueller Ankündigungen oft ganz anders aus. Darauf kommen wir gleich. Dass Bahnfahren mittlerweile ein teurer Spaß ist. erfährt jeder, der eine Fahrkarte zum regulären Preis erwirbt. Eine einfache Fahrt in der 1. Wagenklasse (ICE) von Wuppertal nach Frankfurt (ca. 200 km) kostet heute 122 Euro ( rückgerechnet ca. 245 Deutsche Mark). In den sieben Jahren vor 2007 erhöhte die Deutsche Bahn die Preis im Fernverkehr um 35%; im Jahr 2007 wurde der Fahrpreis gleich zweimal angehoben). Danach erfolgten weitere Erhöhungen. Summa summarum 50 Prozent in den letzten Jahren! Und eine neue Preisrunde ab Dezember ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Das Staatsunternehmen kassiert munter weiter ab, und die Politik schaut zu.

Bei der BahnCard 50 sieht es noch schlimmer aus: Der Preis wurde für die 1. Wagenklasse seit 2002 um mehr als das Dreifache erhöht. Die Karte kostete vor 2003 noch 140 Euro, heute schon 460 Euro. Im Jahr 2006 wurde der Mitfahrerrabatt abgeschafft. Bis dahin konnten BahnCard-Inhaber bis zu vier Mitfahrer zum halben Preis mitnehmen. Das war in guten Zeiten. Außerdem: Wie wir als BahnCard-Inhaber wissen, verlängert sich der Vertrag für die Karte automatisch um ein Jahr, sofern nicht vorher gekündigt wird. Der Haken ist aber, dass die Deutsche Bahn über die beinahe jedes Jahr erneuten Preiserhöhungen nicht informiert. Die Abonnenten "erfahren" den neuen Preis erst über die Abbuchung auf ihrem Konto. Wir haben eben schlechte Zeiten. Selbst so genannte Premium-Kunden mit einer BahnComfort(!)-Karte werden über die teure 180er-Nummer zur Kasse gebeten, wenn sie ihre Service(!)nummer anrufen– mit Bedienzuschlag für eine Platzreservierung, versteht sich. Oder versteht sich nicht. Das meiste versteht man ohnedies nicht. Und es dauert eine Weile, bevor man das unter Mehdorn herbeigeführte Wirrwarr überhaupt enträtseln kann. Die Volkshochschule Viersen sah sich vor kurzem genötigt, Kurse „So bedient man einen Fahrkartenautomaten“ in ihr Programm aufzunehmen. Zu verstehen ist das schon – was ein „roter Button“ ist, hingegen nicht von jedem. Das konnte man mir auch am „Service Point“ nicht erklären.

Für viele sind die elektronischen Fahrkartenautomaten ein Buch mit sieben Siegeln. Der Vorstandsvorsitzende sieht dies offensichtlich ein wenig, nein sogar deutlich anders, was sich im Geschäftsbericht 2009 der Deutschen Bahn auf Seite 1 nachlesen lässt. Dort heißt es: "... werden Wettbewerbsfähigkeit, Kunden(!)- und Mitarbeiterorientierung die Eckpfeiler unseres geschäftlichen Erfolgs sein". Wer’s glaubt, wird selig. Massiv eingeschränkte Schalteröffnungszeiten, z.B. am Sonntag erst ab 9.30 Uhr, und frühe Schließungen (meist um 20.00 Uhr) bei gleichzeitig schwach besetzten Schaltern macht das Ticketlösen vor allem für die große Gruppe der älteren Menschen oft zur Qual. Geändert hat sich unter der neuen Leitung nichts, obwohl der neue Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Grube, allein aufgrund seines Auftretens Sympathiepunkte bei Bahnfahrern sammeln konnte. Leider  ist er nun gerade dabei, diese wieder zu verspielen. Wieso? Groß sind eben auch die kleinen Dinge: Seit dem Fahrplanwechsel im Juni gibt es die beliebten Fahrplanhefte "Städteverbindungen" der Deutschen Bahn nicht mehr gratis. Die Zusammenstellung wichtiger Hin- und Rückfahrtverbindungen kostet 1 Euro am Schalter. Inklusive die Zeit beim Anstellen bis man an der Reihe ist. Ich stelle mir vor, wie Herr Grube sich in folgender Situation verhalten würde: Er geht mit seiner Familie in ein Speiserestaurant und bittet den Kellner um die Speisekarte. Dieser antwortet geschult höflich: "Selbstverständlich können Sie die Speiskarten haben. Aber Sie müssen bitte warten, bis Sie an der Reihe sind. Ich muss Sie außerdem darauf aufmerksam machen, dass wir für die Speisekarte eine Gebühr von 1€ erheben." Guten Appetit, Herr Grube!

Ein diesbezügliche Intervention beim Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, er möge doch dafür sorgen, dass dieser Unsinn wieder rückgängig gemacht wird, führte zu einer seitenlangen Erklärung des Referats L 23 (Bürgerservice/Besucherdienst) mit dem formal-bürokratischem Ergebnis, man möge doch Verständnis dafür haben, der Herr Minister könne nicht jeden Brief selbst beantworten. Was ja sein kann, und dann folgt der ergänzende Satz: "Die Gestaltung bedarfsgerechter Angebote, die für den Kunden hinsichtlich Qualität, Preis und Leistungsumfang attraktiv sind und am Markt bestehen können, ist eine Aufgabe, die der Vorstand der Bahn in eigener unternehmerischer Verantwortung wahrnimmt." Des Weiteren: Dem Minister sei sehr daran gelegen, dass Kritik auch den richtigen Adressaten erreicht. "Denn nur die Bahn selbst kann Ihnen die Gründe für die vorgenommene Änderung mitteilen, und auch nur die Bahn kann auf evtl. Fehlentscheidungen reagieren und diese ggf. auch beheben." Auf eins folgt zwei: Folglich Mail, wie von dort empfohlen, an zentralerkundendialog@bahn.de Berlin und der Bitte, die "Städteverbindungen" uns Bahnfahrern doch wieder gebührenfrei anzudienen. Meine Mail vom 25. Juli erfuhr -"aufgrund der Hitzewelle und der damit verbundenen Ausfällen der Klimaanlagen in einigen Fernverkehrszügen" – erst spät am 29. August ein in vielerlei Hinsicht bezeichnete Antwort: "Durch die Einführung einer Schutzgebühr erwarten wir eine um 50 Prozent reduziert Auflage", was der Umwelt zugute käme, denn 2009 habe man bei der Deutschen Bahn 800 Tonnen Papier verwendet, um 140 Städteverbindungshefte mit einer Auflage von 3,9 Millionen Stück zu drucken. Was der Druck weiterer Broschüren kostet, die auch heute noch massenweise in den Schalterhallen angeboten werden (z.B. "Hoher Unterhaltungswert im ICE – mit verbesserter Mobiltelefonie" u.v.a.m.), dazu verliert die Bahn kein Wort. Da wünscht sich der Kunde doch wieder gute statt schlechte Zeiten. Nun noch die größte Chuzpe der Deutschen Bahn. Auf Kosten und zu Lasten ihrer Kunden und vielleicht zur Ent-Lastung ihres eigenen, so vorhanden, Gewissens, rechtfertigt die Deutsche Bahn für die "Schutzgebühr" mit dem Hinweis, dass ein Teil der Einnahmen (also darum geht es doch!) aus dem Verkauf der "Städteverbindungen" an das "Bergwaldprojekt e.V." spendet. "Diese Initiative pflanzt damit ca. 20.000 standortgerechte, heimische Bäume." Bei der heutigen Einstellung der Deutschen Bahn gegenüber ihren Kunden ist zu befürchten, dass deren Bäume nicht in den Himmel wachsen. Und Reputationsgewinne auf Kosten der Kunden zu erzielen, verspricht Gewinn, selbst wenn es nicht ehrenvoll ist.

Manfred Piwinger, Unternehmens- und Kommunikationsberatung, Wuppertal, www.piwinger.de

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