Rezensionen Rezension: Wissenschaftlicher Überblick über Primes und Priming

Priming Nomos Autor Scheufele BuchcoverPrimes und Priming, sind zentrale Begriffe der modernen Medien-Wirkungsforschung. Vereinfacht gesagt, geht es um Reize, die bei uns im Gedächtnis abgelegte Spuren aktivieren und uns zu bestimmten Interpretationen führen. Der Reiz ist der Prime, Priming ist der Vorgang. Beispiele aus dem vorliegenden Buch: Es macht einen fundamentalen Unterschied, ob die US-Regierung (2003) den Krieg gegen der Irak unter die Labels "Befreiung des Iraks" oder "Krieg um (lebensnotwenige) Ölreserven" stellt. Wenn die Fernsehnachrichten einen Bericht mit der Überschrift "Terroranschlag in Israel" betiteln, werden bei uns ganz bestimmte Schemata unseres Gedächtnisses aktiviert. Begriffe, Bilder und Emotionen, die wir, jeder individuell, mit Terrorismus und dem betroffenen Land identifizieren, werden evoziert.

Kognitive Netzwerke werden aus den Schubladen unseres Gedächtnisses nach vorn geholt – und gehen in unserem Gehirn an die Arbeit der sinnhaften Interpretation. Emotionale Netzwerke arbeiten gleichfalls, manchmal sogar parallel. Für die wissenschaftliche Medienwirkungsvorforschung wird es dann interessant, besser relevant, wenn eben nicht nur die Wirkung beim Einzelnen, sondern bei ganzen Gruppen oder gar ganzen Bevölkerungen in den Forschungsblick kommt.

Es ist ein spannendes Forschungsfeld, das Bertram Scheufele in dem vorliegenden wissenschaftlichen Lehrbuch auf 104 Seiten den Leserinnen und Lesern näherbringt. Es dürften vor allem akademisch einschlägige Leser sein, die sich dem Buch widmet. Leser, die gewisse Vorkenntnisse haben und auch wissen, dass die Themen in benachbarten Forschungsfeldern diskutiert wurden und werden. Beispielsweise in der Forschung zu Agenda Setting, Medien-Frames oder in der Diskussion über die Kultivierungs-These.

Vor allem solchen Lesern ist ja die gesamte, auf 25 Bände ausgelegte Lehrbuchreihe "Konzepte" gewidmet, die die Erfurter Professoren und Medienwissenschaftler Patrick Roessler und Hand-Bernd-Brosius beim Nomos Verlag seit einigen Jahren herausgeben. Theorien "mittlerer Reichweite" sind dabei im Fokus. Themen, die ausführlichere Behandlung brauchen als ein Journal es ermöglicht, aber auch abgegrenzt genug, um gleich ein dickes Kompendium erforderlich zu machen. Bertram Scheufele, seit 2010 Professor für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Medienpolitik an der Uni Stuttgart-Hohenheim, folgt dem bewährten Konzept der Vorgänger-Bände. Im ersten Kapitel zeigt er in den "Grundlagen" die Herkunft und den Import des Themas aus der Kognitionspsychologie in die Kommunikationswissenschaft auf. Er definiert präzise die zentralen Begriffe: Prime, Priming, Priming-Effekte. Weiter: Schemata/Kategorien Prototypen, Scripts. Und erweitert: Kognitives Netzwerk, Aktivationsausbreitung, mentales/situationales Modell. Das Kapitel ist eine Fundgrube vor allem für Hochschullehrer, denen präzises begriffliches Denken ihrer Studierenden am Herzen liegen. Und eine saubere Abgrenzung von Begriffen und Themen. Zwar ist vieles miteinander verwandt, aber eben nicht das Gleiche. Scheufele zeigt das meisterhaft auf, in rasiermesserscharfen Definitionen. Das ist wohltuend.

Es folgen ebenso präzise formulierte Kapitel über die Forschungsgeschichte, die schwerpunktmäßig verwandten Forschungs-Methoden, die zentralen Befunde der relevanten Studien, der Abgleich mit verwandten und konkurrierenden Forschungsansätzen, der abschließende kritische Blicke auf den Stand der Forschung und das Aufzeigen der Desiderata beziehungsweise Forschungslücken. Wie üblich, folgt ein auch bei Scheufele souverän gelungener Kurzüberblick über die "Top 10" der bisherigen Forschung und ein 18-seitiges (!) Literaturverzeichnis.

Das Buch ist vorwiegend für angehende Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler geschrieben. Aber, kann auch ein Kommunikations-Praktiker davon profitieren? In jedem Fall! Kommunikations-Manager sollten sogar nach dem Buch greifen, wenn sie im Themen-Management planend unterwegs sind. Welche Reizwörter müssen in meinen Presse-Informationen stehen, um vermutlich welche Interpretationsmuster bei den Stakeholdern zu aktivieren? Welche Bilder können in meiner Medienarbeit zu Schlüssel-Reizen werden, um an welche Vorbotschaften in meiner Kommunikation anzudocken? Welche Begriffe dominieren die Agenda der Nachrichten-Medien in bestimmten Schlüsselfragen – und unter welche Signalwörter und Primes würden meine Stoffe in der journalistischen Bearbeitung voraussichtlich gestellt und dem Publikum präsentiert werden? Um solche Reflexionen auszulösen, kann das Buch auch für Kommunikationsmanager wertvolle Anreize liefern.

Titel: Priming = Konzepte. Ansätze der Medien- und Kommunikationswissenschaft; Autor: Bertram Scheufele; Herausgeber: Patrick Roessler und Hans-Bernd Brosius; Band 14; Verlag: Nomos, Baden-Baden 2016; Umfang: 101 Seiten; Preis: 19,90 Euro; ISBN 978-3-8487-2217-4

Kiefer Markus Prof FOM kleinerÜber den Autor der Rezension: Markus Kiefer (60, Foto) ist Professor an der FOM - Hochschule für Oekonomie und Management. Dort lehrt er BWL, mit dem Schwerpunkt der Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation. Darüber hinaus arbeitet er in Seminaren, Vortragsveranstaltungen und Workshops für Weiterbildungs-Akademien der Wirtschaft. Er berät Unternehmen in Fragen der Kommunikationsstrategie, der PR, Mitarbeiterkommunikation, Social Media und Krisenkommunikation. Im Recito Verlag, Essen, ist im Sommer 2018 sein Buch „Unternehmenskommunikation - Erfolgreiche Kommunikationskonzepte aus Wissenschaft und Praxis“ erschienen.

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