Rezensionen Win-Win-Denken oder provokatives Behaupten? Doppelrezension zu zwei Rhetorikbüchern

Argumentieren unter Stress Kunst der Kom Buch CoverZwei Autoren, zwei Bücher, zwei Auffassungen, ein Thema: Rhetorik. Sowohl der renommierte Rhetoriktrainer Albert Thiele als auch der gelernte Fernsehjournalist, heutige Consultant und Hochschullehrer Karsten Bredemeier haben Erfolgsbücher zum Thema Rhetorik verfasst. Thiele hat seinen Titel nach der Corona-Pandemie komplett überarbeitet. Bredemeier vertritt in seinem Buch vielfach Gegenakzente – nicht nur zu Thiele, sondern auch zum Mainstream der Rhetorik-Lehre. Es ist also reizvoll beide Bücher in dieser Doppelrezension miteinander zu vergleichen, um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Standardwerk komplett überarbeitet

Warum noch einmal auf ein Buch eingehen, das an diese Stelle erst vor drei Jahren ausführlich vorgestellt wurde? Nun, in diesen drei Jahren kam uns eine Pandemie in den Weg und sie hat die Art und Weise, wie die meisten von uns Gespräche führen, kritische Diskussionen erst recht, massiv beeinflusst. Vieles mussten wir in der virtuellen Welt anders machen. Und deswegen ist es gut, dass der renommierte Rhetoriktrainer Albert Thiele seinen Long- und Bestseller komplett überarbeitet aufs Neue vorlegt. 

Rein äußerlich ist das Buch um 70 Seiten schlanker geworden. Vieles an Übungsbeispielen ist nun in den digitalen Trainingsteil ausgelagert, den der Leser mittels integrierter Links und QR-Codes zur Verbesserung der eigenen Praxis aufsuchen kann und auch sollte. Und am Ende eines jeden Kapitels hat der Autor eine Checkliste vorformuliert, was aus der persönlich-analogen Kommunikation in die Welt der Videokonferenzen und Videocalls übernommen werden kann, was nicht übernommen werden darf und was anders anzugehen ist.

Der bewährte Aufbau des Standardwerkes in seinen 16 Kapiteln (Teil 1: Grundlagen, Teil 2: Anwendung in speziellen Gesprächssituationen, Teil 3: Anleitung zum Training) muss an dieser Stelle nicht mehr im Detail wiederholt werden. Schauen wir auf die Kapitel und Elemente, die neu sind.

Im völlig neuen ersten Kapitel legt der Autor die Grundlinien einer virtuellen persönlichen Kommunikation. Noch gar nicht mit Blick auf das Hauptthema des Buches – und das ist das Bestehen in der rhetorischen Stress-Situation, in der Kontroverse, beim verbal-persönlichen Angriff des Gegenübers. Das lässt sich gut lesen als Sensibilisierung dafür, dass der Leser seine Gewohnheiten der persönlichen Kommunikation nicht 1:1 auf die Welt von Teams, Zoom und Co. übertragen darf. Das Kapitel erklärt gut, wie man sich in der Welt der Video-Cams und kleinen Bildausschnitte richtig inszeniert und intoniert.

Das zweite gänzlich neue Kapitel ist das 11., in dem Thiele die feine Kunst einer virtuellen Moderation erklärt. In den Standardkapiteln der Vorauflagen hat es eine wesentliche inhaltliche Erweiterung im Kapitel 5 gegeben, in welchem der Umgang mit unfairen Gesprächstaktiken ausgeführt ist. Für eine wirkungsvolle Stress-Rhetorik führt Thiele hier neu seinen Ansatz der „4-I-Methode“ ein. In diesem Ansatz stehen vier Reaktionsweisen zur Verfügung, alle mit I beginnend: Ignorieren (Angriff übersehen, überhören, übergehen), Identifizieren (offensives Angehen der Regelverletzung), Ironisieren (Schlagfertigkeit), Isolieren (Kommunikations-Abbruch). Unterschiedlich einsetzbar, je nach Situation und Schwere der Attacke.

Ebenfalls neu in der hier vorgelegten Form ist die Verdichtung der fünf Elemente der Überzeugung. Das ist in Kapitel 8 eingefügt, wo die verschiedenen Modelle der 5-Satz-Technik erklärt werden, immer schon und unverändert ein Glanzstück des Lehrbuchs. Diese fünf Elemente einer überzeugenden Rhetorik sind nach Thiele: Nutzen im Sinne von „Was habe ich davon?“ – Beispiele und Stories – rationale Argumente – Werte – Anführen von Autoritäten.

Zwischenfazit: Als hochwertiges Trainingsbuch hat der Klassiker in seiner 10. Auflage sogar noch dazu gewonnen. Thiele kommt in seinen Ansätzen von der klassischen Rhetorik. Ihm geht es um das Sich-Behaupten. Wenn auch nicht um jeden Preis. Beispielsweise argumentiert er im Kontext des Harvard-Verhandlungs-Konzepts, das konstruktives Win-Win-Denken ins Zentrum der Kommunikation stellt. Das sehen aber nicht alle so. In der realen Welt nicht. Und auch nicht in der Welt der Trainer.

Titel: Argumentieren unter Stress. Konflikte souverän meistern; Autor: Albert Thiele; Verlag: Frankfurter Allgemeine Buch, 10. aktualisierte und ergänzte Auflage, Frankfurt am Main 2022; Umfang: 271 Seiten; Preis: 20,00 Euro; ISBN 978-3-95601-1135-5

Gegenakzente von Bredemeier

Ein anderer renommierter deutscher Rhetorik-Trainer und Autor sieht viele Dinge anders als Thiele. Greift man nämlich nach den Erfolgsbüchern von Karsten Bredemeier, dann steht dort die sogenannte „schwarze Rhetorik“, die bewusst manipulative, in anderem Licht dar. Bredemeier arbeitet die entsprechenden Tricks deutlich und prägnant heraus. Und er überlässt es dem Leser, ob er diese zur Abwehr unfairer Angriffe einsetzen oder selbst eine Attacke starten will.

Bei Bredemeier findet der Leser vielfach Gegenakzente. Nicht zur zu Thiele, sondern zum Mainstream der Rhetorik-Lehre. Das fängt mit dem Stand des Sprechenden an (Wechsel von Stand- und Spielbein statt beide Füße auf gleicher Höhe). Oder beispielsweise die berühmten rhetorischen Gegenfragen: Von denen hält Bredemeier, im Unterschied zu Thiele, gar nichts, da sie dem Angreifer noch Zusatzmöglichkeiten bieten könnten, unfaire Attacken auszuweiten. Da ist Bredemeier eher für provokatives Behaupten, für das kräftige Setzen von Eigen-Botschaften statt für Rückfragen. Und vom Harvard-Konzept der Verständigungs-Verhandlung hält er auch eher wenig.

In einer Welt, in der viele ihre Interessen eher aggressiv verfolgen, lehrt er andere Techniken des knallharten kommunikativen Gegenhaltens. Ausreden-lassen des unfairen Gegenübers? Nicht aus falscher Höflichkeit, rät Bredemeier. Frühes Unterbrechen und Kontern ist die Devise. Blickkontakt zum Gegenüber immer halten? Keineswegs, sagt der gelernte Fernsehjournalist und heutige Consultant und Hochschullehrer. Gerade bei Angriffen von Alphatieren, ist ein frühes Wegschauen und Neu-Blickkontakt zu anderen anzuraten.

Bei allen Unterschieden der beiden prominenten Autoren gibt es aber auch deutliche Gemeinsamkeiten. In den Medientrainings vor der Kamera für Fernseh- und Videoaufnahmen geben sie ähnliche Ratschläge. Was das Abblocken manipulativer Ansagen des Gegenübers ist, verwenden sie im Grunde die gleiche Technik. Was bei Thiele das Blocken – Überbrücken – Kreuzen ist, heißt bei Bredemeier Touch – Turn – Talk – ist aber im Grunde die gleiche Antworttechnik. Beide bieten den Leserinnen und Lesern Material und Formulierungen, die er leicht 1:1 in die eigenen Statements übernehmen und anwenden kann.

Gesamt-Fazit: Wer sich bei unfairen Angriffen rhetorisch besser wappnen und aktiv trainieren möchte, der ist mit Thieles Klassiker-Neuauflage bestens bedient. Wer seine eigene Rhetorik selbstkritisch reflektieren und sein Repertoire mit einem Schuss Aggressivität aufladen möchte, der findet in Bredemeiers Grundsätzen gute, erste Optionen.

Titel: Die Kunst der klaren Kommunikation. 250 professionelle Rhetorik-Tipps; Autor: Karsten Bredemeier; Verlag: Haufe, Freiburg 2019; Umfang: 249 Seiten; Preis: 11,95 Euro; ISBN 978-3-648-13211-1

Kiefer Markus Prof FOM kleinerÜber den Autor der Rezension: Professor Dr. Markus Kiefer (64, Foto) war von 2010 bis Ende des Sommersemesters 2022 hauptberuflich an der FOM – Hochschule tätig, als Professor für Allgemeine BWL, mit dem Schwerunkt Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation. Ab dem Wintersemester 2022 wird er an der FOM und im Wechsel an weiteren Hochschulen Lehraufträge mit Schwerpunkt PR und Unternehmenskommunikation wahrnehmen.

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