Tipps & Lesehinweise Bürger halten wenig von den gesetzlich vorgesehenen Verfahren

Den meisten Bürgern in Deutschland sind ihre Beteiligungsrechte bei Infrastrukturprojekten praktisch unbekannt. Wenn die Mitwirkungsrechte aber doch bekannt sind, werden sie überwiegend als wirkungslos eingeschätzt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Repräsentativbefragung, die heute von der Change Centre Foundation, einer unabhängigen Wissenschaftsstiftung mit Sitz in Meerbusch, vorgestellt wurde.

Nur wenige Bürger wissen, welche Verfahren der Bürgerbeteiligung gesetzlich vorgesehen sind. Das Ergebnis überrascht, ging es doch in der Fragestellung nicht um abstraktes Wissen. Vielmehr wurde ganz konkret gefragt, wie sich die Bürger aktiv einmischen können, wenn in der Nähe ihres Zuhauses ein Kohlekraftwerk geplant wird. Gesetzlich vorgesehen ist hierfür beispielsweise die öffentliche Auslegung der Bauplanung, zu der jeder Bürger Stellung nehmen könnte – ein Verfahren, das aber nur jedem dritten Bürger bekannt ist.

"Das ist ein dramatisches Informationsdefizit", kommentiert Joachim Klewes, der Initiator der Repräsentativstudie, die vom renommierten Kölner Meinungsforschungsinstitut YouGov Psychonomics bei 1025 bevölkerungsrepräsentativen Deutschen durchgeführt wurde. "Die großen Infrastrukturprojekte im Kontext der Energiewende können aber nur gelingen, wenn mehr Bürger wissen, wie sie an den von Unternehmen und Verwaltungen geplanten Vorhaben mitwirken können."

"Zahnloser Tiger?" Bürger halten die gesetzlich vorgesehenen Beteiligungsverfahren für wirkungslos

Die Studie fragte auch, mit welchen Verfahren ein Projekt besonders wirkungsvoll zu beeinflussen sei – also nach der Effektivität der gesetzlich vorgesehenen Bürgerbeteiligung. Das Standardverfahren, die "Stellungnahme im Rahmen der öffentlichen Auslegung", schneidet bei den Bürgern denkbar schlecht ab: Diese landet mit nur 12 Prozent Zustimmung auf Platz zehn von elf möglichen Antworten. Dagegen hält fast jeder zweite Bürger ein "Bürger- oder Volksbegehren" für besonders wirkungsvoll.

Danach folgen mit jeweils 37 Prozent die "Gründung einer Bürgerinitiative" und die "Klage vor Gericht". Interessant ist hier ein deutlicher Unterschied zwischen den Altersgruppen: Während junge Menschen Demonstrationen für wirkungsvoll halten, plädieren ältere Bürger eher für die klassische Unterschriftenaktion.

"Wenn die meisten Bürger die gesetzlich vorgesehenen Beteiligungsverfahren für wirkungslos halten, hat unsere Demokratie ein Problem", kommentiert der Düsseldorfer Politikprofessor Ulrich von Alemann die Ergebnisse und betont die Notwendigkeit einer schnellen Reform: "Eine kluge Reform der Bürgerbeteiligung schafft Win-Win-Situationen: Die Bürger können mehr mitreden und gleichzeitig kommt mehr Tempo in die Planungen!"

Die Repräsentativbefragung von Change Centre ist Teil einer größeren Partizipationsstudie zum Thema Bürgerbeteiligung bei Infrastrukturprojekten, die von Change Centre für den Kongress "Nachhaltige Wirtschaft: NRW im Dialog" am 02. November 2011 in Düsseldorf realisiert wurde. Auf Anregung des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Harry K. Voigtsberger werden dann mehrere hundert Experten sowie Vertreter von Unternehmer-, Arbeitnehmer-, Umwelt- und anderen Verbänden in der Turbinenhalle Düsseldorf über eine stärker beteiligungsorientierte, nachhaltige Wirtschaftspolitik diskutieren.

Die Ergebnistabellen, ein Faktenblatt zum Studienkontext sowie weitere Zitate von Joachim Klewes und Ulrich von Alemann finden Sie zum Download auf  change-centre.org

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