Branche Staat und Unternehmen können nur gemeinsam verlorenes Vertrauen zurückgewinnen

Unternehmenskommunikation genießt ebenso wie der Journalismus verfassungsrechtlichen Schutz und ist unverzichtbar, um in der Wirtschaft Transparenz herzustellen und Vertrauen zu gewinnen. Die Gründe hierfür zeigte der langjährige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem beim Hermes-Dinner 2011 der Akademischen Gesellschaft für Unternehmensführung und Kommunikation in Berlin auf. Der Professor für Öffentliches Recht bezog sich dabei auch auf die aktuelle Finanz- und Staatsschuldenkrise, die für ihn ebenso eine Kommunikations- und Vertrauenskrise darstellt. In dieser Situation sei die Rückgewinnung von Vertrauen ein Rückgrat unserer Gesellschaft.

Hoffmann-Riem sieht dabei staatliche und privatwirtschaftliche Akteure gleichermaßen in der Pflicht. "Koordination und Kooperation von Wirtschaft und Politik sind besonders wichtig, wenn es darum geht, Vertrauen im gesellschaftspolitischen Bereich wieder erzustellen", so der Richter. "Unternehmensbezogene und öffentlich-staatliche Kommunikation dürfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern stehen gemeinsam in der Verantwortung, den verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren Orientierung zu geben."

Hoffmann-Riem skizzierte in seinem Impulsvortrag vor Kommunikationschefs deutscher Unternehmen grundlegende Veränderungen im Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Der Staat vertraue zunehmend in die Gesellschaft, sich selbst zu regulieren, setze dafür aber gegebenenfalls einen rechtlichen Rahmen. Hoffmann-Riem bezeichnet dies als "Gewährleistungsverantwortung" des Staates in Abgrenzung zur früher stärker üblichen "Erfüllungsverantwortung". Da viele der vormals vom Staat wahrgenommenen Aufgaben nunmehr von privaten oder hybriden Trägern erfüllt würden, habe die Rechtsordnung im modernen „Gewährleistungsstaat“ einen erheblichen Wandel erfahren.

Speziell im Hinblick auf öffentliche Kommunikation betonte Hoffmann-Riem an Beispielen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die verfassungsrechtliche Fundierung von Unternehmenskommunikation. Die Verfassung erkenne aber auch die Verantwortung des Staates für öffentliche Kommunikation an. Der Staat sei anders als Wirtschaftsunternehmen verfassungsrechtlich auf das Gemeinwohl verpflichtet.

Unternehmen dürfen Partikularinteressen vertreten, entsprechend auch egoistisch handeln. Verfassungsrechtlich erwünscht sei aber eine gesellschaftliche Ordnung, die selbst über genügend Gegengewichte verfüge, um einen gerechten Interessenausgleich zu erreichen. Gelinge dies nicht, so Hoffmann-Riem, dürfe der Staat regulierend eingreifen. Dies könne auch der Fall sein, wenn am ökonomischen Markt erhebliche Informationsungleichgewichte entstehen. "Die grundrechtliche Unternehmensfreiheit schützt nicht vor zutreffenden und sachlich gehaltenen Informationen durch den Staat, die für das Wettbewerbsverhalten der Marktteilnehmer bedeutsam sind", fasst der Experte für Kommunikationsfreiheiten zusammen. Soweit Wettbewerber sich durch Werbung anderer beeinträchtigt fühlen, die sie für unlauter halten, müssen die Gerichte auch der Meinungsfreiheit Geltung verschaffen. Hier habe vor allem das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahrzehnt die Weichen für größere Meinungsfreiheit gestellt.

Hoffmann-Riem sprach abschließend über die immens gewachsene Bedeutung des Internet. Es stelle für Unternehmens- und Staatskommunikation gleichermaßen eine besondere Herausforderung dar, da Kommunikation über Länder und Akteure hinweg stattfinde. Es schaffe große Möglichkeiten, führe aber auch zu Risiken, nicht zuletzt beim Persönlichkeitsschutz. Zwar sei das Internet kein rechtsfreier Raum, so Hoffmann-Riem, staatliches, national begrenztes Recht habe aber nur relativ enge Wirkungsmöglichkeiten. Hier entwickeln sich neuartige Regeln privat gesetzten Rechts, das sogenannte "soft law". Laut Hoffmann-Riem zeige sich am Internet erneut die Notwendigkeit zum Zusammenwirken von Unternehmen und Staat, um Transparenz und damit auch Vertrauen in der Öffentlichkeit zu schaffen und Gemeinwohlinteressen zu verwirklichen – angesichts der aktuellen, von der Öffentlichkeit als Staats- und Marktversagen wahrgenommen Verwerfungen im politischen und wirtschaftlichen Raum mehr denn je.

Hoffmann-Riem sprach anlässlich des Hermes-Dinners und der Jahresversammlung der Akademischen Gesellschaft für Unternehmensführung & Kommunikation vor 40 geladenen Gästen im Konzernbüro der BMW Group in Berlin. Der Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft war von 1999 bis 2008 Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und in dieser Funktion als Berichterstatter zu allen Fragen der Kommunikationsfreiheiten, der Wirtschaftsfreiheit, des Persönlichkeitsschutzes und der Versammlungsfreiheit tätig. Zuvor war er parteiloser Justizsenator in Hamburg sowie Direktor des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung an der Universität Hamburg.

Die Akademische Gesellschaft für Unternehmensführung und Kommunikation ist eine unternehmens- und hochschulübergreifende Initiative, die im Herbst 2010 von Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Wissenschaft initiiert wurde, um die Zukunft der Unternehmenskommunikation durch neue Wege der Forschung und des Wissenstransfers mit den führenden Universitäten im deutschsprachigen Raum mitzugestalten. Sie wird unterstützt von ARAG, B. Braun Melsungen, BASF Group, Bayer, Bertelsmann, BMW Group, Celesio, Clariant, Demag Cranes, Deutsche Bank, Deutsche Post DHL, EADS, GIZ, Goldman Sachs, ING-DiBa, Merck, Microsoft Deutschland, Otto Group, Puma, Robert Bosch, Vattenfall Europe und anderen namhaften Unternehmen. Die akademische Leitung haben die Professoren Günter Bentele (Leipzig), Claudia Mast (Hohenheim), Ulrike Röttger (Münster), Joachim Schwalbach (Berlin) und Ansgar Zerfaß (Leipzig) übernommen.

Die in einer Stiftung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft verankerte Initiative organisiert eine mehrsprachige Wissensplattform mit praxisrelevanten Forschungsergebnissen im Internet, das Leadership Forum im Frühjahr, das Hermes-Dinner und jährliche Treffen der Förderer im Herbst sowie einen Research Fund, der eigene Forschungsprojekte im Spannungsfeld von Unternehmensführung und Kommunikation initiiert. Interessenten auf Leitungsebene aus Unternehmen und Verbänden können unter www.akademische-gesellschaft.com  nähere Informationen anfordern.

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