Das PR-Interview PR-Interview Nr. 96. mit Kristina Sinemus: Bürgerbeteiligung muss einsetzen, wenn Bürger noch die Chance zur Mitbestimmung haben

Prof Dr Kristina Sinemus75„Das PR-Interview im PRJ“ wird realisiert von k1 gesellschaft für kommunikation, Köln

Interview mit Professor Dr. Kristina Sinemus (Foto), Geschäftsführerin der Genius GmbH, Darmstadt, über Möglichkeiten und Grenzen von Bürgerbeteiligung bei Großprojekten.

PR-Journal: Welche Möglichkeiten sehen Sie, um bei Großprojekten wie Stuttgart 21, Großflughafen BER, Netzausbau oder Energiewende die Bürger stärker einzubeziehen und mitzunehmen?
Kristina Sinemus: Bürgerbeteiligung muss einsetzen, wenn Bürger noch die Chance zur Mitbestimmung haben. Bürgerbeteiligung darf nicht als Pro Forma-Beteiligung zur nachträglichen Schaffung von Akzeptanz für vorher unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefasste Beschlüsse degradiert werden.
Nimmt man diese Empfehlung ernst, so bedeutet dies in der Umsetzungskonsequenz, dass sich Projektträger auf einen aufwendigen Beteiligungsprozess einstellen müssen, der sich je nach Projekt und Ausgestaltung des Dialogs als ressourcenintensiv erweisen kann.

Schaut man sich Großprojekte wie zum Beispiel Flughafenerweiterungen an, so fällt auf: Sind die Menschen von einem Großbauvorhaben noch nicht betroffen, zeigen sie wenig Interesse und können die Auswirkungen damit nicht einschätzen. Oft sind Planungsverfahren auch schlicht zu langwierig und die Bürger verlieren über die vielen Jahre des Planungsprozesses den Überblick. Protest regt sich deshalb oft erst zum Zeitpunkt der Realisierung des Projekts. Deshalb muss in einem ersten Schritt eine offensive Informationspolitik implementiert werden, die die Bürger schon zu einem Zeitpunkt informiert und involviert, an dem noch keine abschließenden Entscheidungen getroffen sind.
Wenn eine Planung frühzeitig, transparent, ergebnisoffen und unter Einbeziehung der Bürger getroffen wurde, dann hat diese auch Bestand und schafft Akzeptanz. Beteiligungsprozesse müssen immer zu einem Ergebnis führen. Das heißt konkret: wenn wir uns nicht dem Schweizer Modell des Volksentscheides annehmen wollen – und dieses entspricht schlicht nicht unserer politischen Kultur – müssen wir bei nicht-konsensualen Dialogprozessen auf die Klugheit der Beteiligten vertrauen.

PR-Journal: Wer kommuniziert Großprojekte besonders gut? Gibt es Best Practice Beispiele?
Kristina Sinemus: Da lohnt ein Blick über den deutschen Tellerrand, z.B. auf das Projekt Fehmarnbeltquerung, ein übernationales, dänisch-deutsches Vorhaben. Ziel der Vorhabenträger war es, von Beginn an durch Kommunikationsmaßnahmen informelle Beteiligung zu ermöglichen und Transparenz in größtem Maße herzustellen. Informationsveranstaltungen, Dialogforen sowie transparente Kommunikation von z.B. Zwischenergebnissen waren formell nicht erforderliche, zusätzliche Maßnahmen. Bemerkenswert war in diesem Prozess, dass Kritiker und Befürworter sachlich informativ zusammen agiert haben. Die konsensorientierte Herangehensweise dieses Projekts ist mitunter einer dänischen Beteiligungskultur geschuldet, von der wir uns in Deutschland noch einiges abschauen können.

PR-Journal: Seit Stuttgart 21 kennen wir den Begriff des „Wutbürgers“. Resultiert der Wunsch nach mehr Beteiligung immer aus Ablehnung oder gibt es auch Beispiele für gestaltende Prozesse?
Kristina Sinemus: Studien des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zeigen, dass der „Wutbürger“ tendenziell gut gebildet, älter und misstrauisch gegenüber der politischen Elite ist. Dabei geht es ihm um seine direkte Betroffenheit: Fluglärm, Großbauvorhaben oder Windparks - Partikularinteressen -und nicht gemeinschaftliche Belange, wie den Kampf gegen den Klimawandel oder den Hunger in der Welt. „Not in my backyard“ lautet die Devise. 90 Prozent der Protestierenden gegen den Flughafen Berlin-Brandenburg, erklären die Göttinger Wissenschaftler, sind Grundstückseigentümer und Hausbesitzer. Sie sorgen sich um den Wertverfall der eigenen vier Wände und Ihren eigenen Wohlstand mehr als um den Nutzen des Flughafens.
Setzt man frühzeitig in der Planungsphase an und gibt man den Bürgern Mitgestaltungsraum und die Möglichkeit mitzuentscheiden, kann es gelingen, den Gemeinschaftsgedanken wieder in den Vordergrund zu rücken, Unterstützer für das Projekt zu mobilisieren, die Wut zu mindern und einen gestaltenden Prozess einzuleiten.

PR-Journal: Welche Instrumente sind besonders wichtig für die Kommunikation bei Partizipationsprozessen?
Kristina Sinemus: Neben einer transparenten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, zu der auch eine Webpräsenz gehört, die stets aktuelle Information bietet und der Beobachtung in und Kommunikation über Social Media, bilden dialogorientierte Veranstaltungsformate das Herzstück von Partizipationsprozessen. Dies können zum Beispiel Bürgerforen, Konsensus- oder Zukunftskonferenzen sein. Gemeinsam haben diese Formate, dass sie den intensiven Dialog mit verschiedenen Interessensgruppen möglich machen.
Wichtig ist, dass die Einflussmöglichkeiten der Beteiligten zu jeder Zeit transparent kommuniziert werden, sonst kommt es sehr schnell zu Verdruss und Ablehnung und die Beteiligungsangebote werden als Alibiveranstaltungen wahrgenommen.

PR-Journal: Was ist wichtig, um beispielsweise einen zielführenden und ergebnisorientierten Bürgerdialog zu initiieren?
Kristina Sinemus: Schaut man sich den tatsächlichen Kommunikationsprozess im Sinne eines einfachen Kommunikationsmodells, z.B. von Schulz von Thunan, so besteht der Kommunikationsprozess als solcher zu großen Teilen aus Missverständnissen. Das liegt daran, dass Sprache allein nicht genügt, um die Eindeutigkeit einer Aussage zu gewährleisten, sondern jeder Sender und Empfänger einer Information seinen eigenen individuellen Interpretationsspielraum hat.
Insofern ist Partizipation – angemessen und zielführend eingesetzt – eine Chance für eine Gesellschaft, die wieder mehr das Miteinander pflegt. Sprechen wir von Dialog, geht dies über das reine Dekodieren von Sprache hinaus und bedeutet, vor allem wieder verstärkt zuzuhören und in einem respektvollen Umgang miteinander Argumente auszutauschen. Dem Bürger muss gezeigt werden, dass er gehört und ernst genommen wird.

PR-Journal: Ist der Bürgerdialog auch für die Umsetzung der Energiewende geeignet? Findet der Dialog schon in ausreichendem Maße statt? Wenn nicht, woran liegt das?
Kristina Sinemus: In ganz besonderem Maße spielt der Bürgerdialog im Rahmen der Energiewende eine Rolle. Die Möglichkeiten und Chancen werden bei weitem noch nicht ausgenutzt und die Bedarfe nicht erfüllt.
Eine fehlende deutsche Dialogkultur spielt hierbei sicherlich eine Rolle. Diese muss sich erst etablieren und Vorhabenträger müssen lernen, dass ohne frühzeitige Beteiligung die Gefahr besteht, dass Vorhaben an einem Punkt in Frage gestellt werden, an dem bereits große Kosten entstanden sind und es eigentlich kein Zurück mehr gibt.

Professor Dr. Kristina Sinemus ist Co-Herausgeberin des Buches „Partizipation – Neue Herausforderungen für die Kommunikation“. Die darin veröffentlichten Beiträge beschäftigen sich sehr umfassend mit der Frage, welche Folgen der Ruf nach mehr Bürgerbeteiligung vor allem auf der kommunikativen Ebene hat.

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