Kommentare Die DPRG-Spitze entdeckt das Internet - Neues Strategiepapier des Berufsverbandes jetzt schon veraltet

Mein lieber Branchenverband, dem ich jetzt etliche Jahre die Treue halte, ist doch noch zu Überraschungen in der Lage. So flatterte mir in dieser Woche ein Mitglieds-Newsletter in den Account, in dem mich der neue Bundesgeschäftsführer Michael Kalthoff-Mahnke auf ein Strategiepapier aufmerksam machte, das führende Kommunikationsexperten und Verbandsleute auf einem DPRG-Hearing in Worms entworfen haben. Die zentralen Leitfragen des Strategiepapiers lauteten: „Wie verändern sich die Bedingungen für professionelle Kommunikation? Was sind die herausragenden Entwicklungstrends? Welches Veränderungspotenzial erwächst daraus für die DPRG? Und: Welche konkreten Arbeitsschritte stehen an, um den Verband auf die Zukunft auszurichten?" Das klingt noch nicht sehr aufregend, denn die genannten Fragestellungen sollten bei einem modernen Branchenverband eigentlich selbstverständlicher Teil des Tagesgeschäfts sein - so meinte ich. Das kleine Booklet, das einem Link hinterlegt war, bot dann aber doch Erkenntnisse und Lösungsvorschläge der besonderen Art.

Überholtes Selbstverständnis

So stellen die Wormser-Experten in der Analyse der Umfeldveränderungen für Kommunikation fest: „Der dominanteste Faktor dieser Entwicklung gerade in den letzten beiden Jahren mit den nachhaltigsten Auswirkungen auf das tradierte Kommunikationsverständnis geht mit Sicherheit von den Online-Relations und hier insbesondere vom Web 2.0. aus." Aha, nach mehr als zehn Jahren Online-Kommunikation ist es soweit, die DPRG sucht Anschluss an die Internet-Moderne. Und noch mehr Aha: „Das tradierte Selbstverständnis von PR ist stark von der Medienarbeit als ,Handwerk' geprägt. Es hat sich im Laufe der Zeit um redaktionelle Konzepttätigkeiten aller Art und deren Umsetzung erweitert und die unterschiedlichsten Formen von Beziehungsmanagement (Krisenkommunikation, Events, etc) integriert. Angesichts des Bedeutungsverlustes der medialen Gatekeeper-Funktion, der zunehmenden Bedeutung von neuen Medien, Bewegtbildkommunikation und Medienwandel ist dieses Selbstverständnis perspektivisch allein nicht tragfähig." PR ist also mehr als Medienarbeit? Das kann wohl jeder PR-Schaffende locker bestätigen. Aber reden wir nicht seit 25 Jahren von PR als Management von Kommunikation und sind die Fachdebatten seitdem nicht weit darüber hinausgegangen? Und zeigt sich in dieser doch eher lustlosen Analyse nicht das Selbstverständnis eines Verbandes, der zehn Jahre PR-Entwicklungen verschlafen hat und jetzt aus einer völlig unaufregenden Erkenntnis heraus tatsächlich ein tragfähiges Zukunftskonzept für die eigene Arbeit entwickeln will?

Lösungen von gestern

Und dann kommen Lösungsvorschlage von der Verbandsspitze und den Experten, etwa in der Qualität: „Im Bereich „Online Relations und Social Media" ist es Ziel, einen florierenden Arbeitskreis auf den Weg zu bringen. Darüber hinaus wird eine angemessene Webplattform für den Verband auf den Weg gebracht." Also ein florierender Arbeitskreis zum Thema wird gegründet und der Online-Auftritt relauncht. Und dann? „Ad hoc wird zu den bestehenden Themenschwerpunkten ein zentraler Veranstaltungskalender im Internet erstellt, der alle Aktivitäten von AK, Bundesvorstand und Landesverbänden zu den geplanten inhaltlichen Schwerpunkten und nach Schwerpunktthemen geordnet listet." Und weiter? Nichts! Nur noch ein paar Formulierungen zur Kompetenzentwicklung des Verbandes und das war es.

Lieber DPRG-Vorstand, vor mehr als einem Jahr habt ihr die Losung für das Jubiläumsjahr ausgegeben: „Kommunikation geht weiter!" Dem doppelbödigen „weiter" folgte an konkreten Schritten wenig bis gar nichts. Nach 18 Monaten nun ein Strategiepapier, das zehn Jahre hinter der Entwicklung des fachlichen Know-hows zurückbleibt. Das ist weder eine Attraktion zur Werbung neuer Mitglieder noch macht es den jungen Mitgliedern Mut, dass hier ein zeitgemäßer Berufsverband am Werk ist. Wenn man sich schon verändern will, dann doch bitte auf der Höhe der Zeit. Im ersten Absatz spricht das Strategiepapier davon, dass die Veränderung „die Relevanzsteigerung der PR" und die damit einhergehende „Ausdifferenzierung der Fertigkeiten" nicht zuletzt „brachenspezifisch" getrieben war. Ich hoffe, dieser Verschreiber ist kein böses Omen. Denn was wir bezogen auf unsere eigene Disziplin gar nicht gebrauchen können, ist eine „PR-Bra(n)che", in der man Trends hinterherläuft und in der ein „Bra(n)chenverband" für seine Mitglieder Lösungen von gestern anbietet.

Oliver Jorzik, Berlin

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