Das PR-Interview Interview Nr. 37: Wirtschafts-PR als Verhinderungsmacht

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Interview mit Hans-Jürgen Arlt über die Studie "Wirtschaftsjournalismus in der Krise – Zum massenmedialen Umgang mit Finanzmarktpolitik", die bei der Otto-Brenner-Stiftung herausgegeben wurde.

PR-Journal: Warum sehen Sie den Wirtschaftsjournalismus in der Krise?

arlthans-juergenHans-Jürgen Arlt: „Wirtschaftsjournalismus in der Krise“ haben wir unsere Studie genannt – und den Doppelsinn nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern absichtlich produziert. Wir hatten eine Hemmschwelle, denn wir sind beide gelernte Journalisten und wir wissen, dass unsere Ergebnisse als Journalistenbeschimpfung ausgelegt und damit missbraucht werden können. Aber besonders im Vorfeld der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, also im Jahr 2007 und zuvor, lautet der Befund: Der Wirtschaftsjournalismus der tagesaktuellen Qualitätsmedien war fast ausnahmslos so sensationell schlecht, dass es uns ausgeschlossen erscheint, einfach zur Tagesordnung über zu gehen.

Natürlich, es handelt sich erst einmal um eine dramatische Krise des Finanzmarktes, der Wirtschafts-Elite, auch der Politik und nicht des Journalismus. Aber wenn die Journalisten als kritische Beobachter, die sie von Berufs wegen sind, ihr Publikum irreführen, wenn sie buchstäblich bis zur letzten Sekunde, bis ihnen schon Trümmer der Krise um die Ohren fliegen, die neue Finanzindustrie als segensreichen Fortschritt für alle feiern, dann kann man zurecht auch von einer Krise des Journalismus sprechen. Berichterstattung und Kommentierung der Eurokrise verstärken diesen Eindruck. Uns geht es als Konsequenz aus unseren Befunden um eine Debatte über bessere journalistische Arbeitsbedingungen.

PR-Journal: Welchen Einfluss übt die PR in Deutschland auf Wirtschaftsjournalisten aus?

Hans-Jürgen Arlt: Wirtschafts-PR nimmt nicht nur, aber vor allem Defensivaufgaben wahr, sie ist primär eine Verhinderungsmacht. Sie versucht, Themen nicht hoch kommen zu lassen und Themenkarrieren zu stoppen, die unangenehm zu werden drohen. Offensive Wirtschaftskommunikation findet meist als Werbung statt. Weil sie vorrangig verhindert, ist der Einfluss der Wirtschafts-PR schwer einzuschätzen, denn wo sie erfolgreich ist, bekommt es von außen kaum jemand mit.

PR-Journal: Wie sollte PR sein, damit sie den Wirtschaftsjournalisten hilft und nicht beeinflusst?

Hans-Jürgen Arlt: Die PR ist kein Unterstützungsverein. Wenn es nicht verdeckt und mit unlauteren Mitteln geschieht, ist in einer freiheitlichen Gesellschaft der Versuch völlig legitim, Einfluss zu nehmen. Die PR braucht sich weder zu verstecken noch zu tarnen, sie übt ein demokratisches Recht aus. Eine andere, schwierige Frage ist, wie blind die Gefolgschaft sein darf, mit der sie die Interessen ihrer Auftraggeber vertritt. Niemand kann mir erzählen, dass in der Finanzmarktbranche nicht ein Gefühl dafür existiert, wie leicht die große Spekulation aus dem Ruder laufen und zum Horrortripp werden kann. In den Interviews, die wir mit verantwortlichen Wirtschaftsredakteuren geführt haben, ist nirgendwo die Rede davon, dass PR-Akteure aus der Finanzbranche mal informelle Tipps derart gegeben hätten, es wäre gut, genauer und kritischer hinzuschauen. PR, die keine Distanz zu ihrem Auftraggeber hat, wird ihm auf Dauer schaden und sich selbst so wie so.

PR-Journal: Was muss guter Wirtschaftsjournalismus leisten?

Hans-Jürgen Arlt: Wir haben in unserer Studie die Kriterien detailliert offengelegt. Wirtschaftsredaktionen müssten mehr Problembewusstsein dafür entwickeln, dass sie sich zu oft wie Öffentlichkeitsarbeiter der Wirtschaft verhalten. Sie präsentieren Wirtschafts- und Finanzakteure als Experten, ohne deren Interessen und Motive auch nur zu thematisieren, geschweige denn kritisch auszuleuchten. Es wird zweitens zu einspurig und zu einseitig berichtet. Das Publikum muss die Chance bekommen, zu den jeweiligen Themen unterschiedliche Perspektiven und Positionen kennen zu lernen, auch von Minderheiten. Drittens kann die Arbeit an der Verständlichkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es wird zu wenig erklärt, Fachsprache zu selten übersetzt. Und schließlich: mehr Nachdenklichkeit, mehr Bereitschaft, Ungewissheit offen anzusprechen, also weniger fertig zubereitete, aufgekochte Antworten: Neuen Fragen Raum geben statt alte Glaubenssätze herunterbeten. Guter Journalismus eröffnet die Chance für öffentliche Lernprozesse, bei seinem Publikum und bei sich selbst.

Dr. Hans-Jürgen Arlt arbeitet in Berlin als freier Publizist, Kommunikationswissenschaftler und Berater. Bis 2003 leitete er die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Die Studie kann man sich kostenlos als PDF (6 Mb) downloaden. Hier der Link: www.otto-brenner-shop.de/uploads/tx_mplightshop/AH63.pdf .

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